Dooring-Unfallprävention: 10 Gründe warum 1,2 Meter Abstand zu parkenden Autos für Radfahrende notwendig sind

1. Dooring: Pflicht zur Unfall-Prävention (Rechtsprechung zur StVO)

Eines der wohl meistzitierten Gerichtsurteile für den Dooring-Abstand vom Landgericht Berlin definiert bisher am klarsten eine Pflicht des Radfahrers zur Dooring-Unfall-Prävention:

Daraus folgt: Ein Abstand, der noch innerhalb der üblichen Türöffnungszone (Dooringzone) verbleibt, ist zur wirksamen Unfallprävention faktisch nicht ausreichend. Die Dooring-Zone sollte daher von Radfahrenden nicht befahren werden. Dies gilt unabhängig von der Frage einer eventuellen Mitschuld des Radfahrers, in welcher sich die Gerichte hingegen eher uneinig sind.

2. Dooring: Abwendung einer Mitschuld (Rechtsprechung zur StVO)

Laut einem Urteil des OLG Jena (Az. 5 U 596/06) von 2008 wurde ein Radfahrer zu 35% Mitverschulden verurteilt, weil bei einer Kollision mit einer sich öffnenden Autotür laut Gutachten nur 80-90 Zentimeter Abstand vom parkenden Auto hielt und dies nicht ausreiche!

Da Radfahrende technisch keine Möglichkeit haben, ihren Seitenabstand während der Fahrt zu messen, kann bereits aus rechtlichen Gründen nicht mehr empfohlen werden, nur mindestens 1 Meter Abstand zu halten, weil sie sich sonst immer haarscharf an der Mitschuldgrenze bewegen würden. (Vgl. 6. ADFC)

3. Dooring-Abstand: Recht auf körperliche Unversehrtheit (Grundgesetz, StVO, VwV-StVO)

Trotz der Klarheit der o.g. Rechtsprechung gibt es immer wieder Stimmen, die behaupten, ein solcher zur Dooring-Unfallprävention notwendiger Abstand verletze doch das Rechtsfahrgebot. (§2 Abs. 2 StVO). Das ist jedoch nicht der Fall. Denn im Zweifel geht die Pflicht, niemanden zu gefährden (§ 1, Abs. 2 StVO), immer vor. Diese Pflicht gilt selbstverständlich auch gegenüber aussteigenden Autofahrern. Und sie gilt natürlich, wie der renommierte Verkehrsrechtler Dr. jur. Dietmar Kettler (Buch Recht für Radfahrer) treffend betont, immer auch gegenüber sich selbst. Niemand darf gezwungen werden, seine eigene körperliche Unversehrtheit (GG Art. 2) in Gefahr zu bringen. Im Zweifel wiegt der Grundsatz von GG Art.2 und §1 StVO höher als das Rechtsfahrgebot, welches dennoch Gültigkeit behält. Das bedeutet: Es ist möglichst so weit rechts zu fahren wie es ohne Gefährdung seiner selbst und anderer möglich ist.

Dasselbe gilt auch für das Gebot der Flüssigkeit des Verkehrs: Es ist gegenüber dem Gebot der Sicherheit nachrangig. Hierzu gab es mit der StVO-Novelle 2009 eine sehr eindeutige Ergänzung in den Verwaltungsvorschriften zur StVO (VwV-StVO zu §39-43, 5 2.): „Die Flüssigkeit des Verkehrs ist mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erhalten. Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit des Verkehrs vor.“

4. Bemessungsgrundlage „eine Türbreite“ (Rechtsprechung zur StVO)

Das Landgericht Berlin hat in dem bereits unter 1. genannten Urteil (LG Berlin, Az. 24 O 466/95)  die bereits 1978 vom OLG Karlsruhe (Az. 10 U 283/77) definierte Faustregel von einer Türbreite Abstand ausdrücklich bestätigt, welche bis heute (bis auf wenige Ausnahmen einzelner Gerichte) größte Anerkennung in der Rechtssprechung zur StVO besitzt.

Diese Faustregel bietet zunächst auch zwei Stolpersteine: 1. Man muss nachmessen. 2. Autotüren sind unterschiedlich breit. Radfahrende sollen an einer Parkreihe dennoch keine Schlangenlinien fahren, sondern in möglichst gerader Linie vorbeifahren. Der Referenz-Mindestabstand muss somit nicht nur für die kleinsten Autotüren, sondern mindestens für alle üblichen Türbreiten sicher ausreichen. Legt man dies zu Grunde, dann erweist sich die Faustregel als durchaus klug und praxisnah, denn heute übliche Autotüren sind viel breiter als noch vor 20 oder 40 Jahren!

Trotzdem ist es überfällig, in der StVO nun auch für den Dooring-Abstand (Gefahr von rechts) baldmöglichst einen genauso konkreten und sicheren Abstands-Wert als Recht der Radfahrer zu benennen wie er für den Überholabstand (Gefahr von links) mit mindestens 1,5 Metern benannt und am 28.4.2020 in Kraft getreten ist. Beide Abstände sind gleichermaßen unverzichtbar für die Unfallprävention. Der Mindestüberholabstand, so wichtig er ist, schützt einen nicht vor Dooring-Unfällen, mit möglicherweise schwersten Folgen.

5. Messwerte: Türbreiten heutiger PKW

Die o.g. Gerichte definieren die Anforderung, dass der Abstand an den gegebenen Türbreiten bemessenen werden muss. Dies formuliert die juristische Anforderung Maß zu nehmen: Wie breit sind denn heutige Autotüren, v.a. Fahrertüren? Hier mal eine kleine Tabelle:

Beispiele für Türbreiten (Fahrertür) aktueller PKW:

2-Türer:

        • Fiat 500 2-Türer: 1,23 Meter
        • Smart 2-Türer (ab 2007): 1,27 Meter*
        • Smart 2-Türer (ab 2014): 1,35 Meter*
        • Mini Cooper S 2-Türer: 1,27 Meter
        • Opel Adam 2-Türer: 1,28 Meter
        • Opel Corsa 2-Türer: 1,30 Meter
        • Opel Astra 2-Türer: 1,35 Meter
        • VW Golf Cabrio 2-Türer: 1,30 Meter*
        • BMW 1er 2-Türer: 1,30 Meter
        • Audi A1 2-Türer: 1,24 Meter
        • Audi A5 2-Türer: 1,33 Meter
        • BMW 6er 2-Türer: 1,38 Meter*

4-Türer:

        • Daihatsu Cuore 4-Türer (Kleinwagen): 1,10 Meter*
        • Seat Alhambra 4-Türer: 1,07 Meter*
        • Opel Meriva 4-Türer: 1,07 Meter*
        • Audi A8 4-Türer: 1,14 Meter vorn, 1,21 Meter hinten*
        • BMW X3 4-Türer (kleiner SUV): 1,10 Meter*
        • Renault Avantime 4-Türer (Van): 1,44 Meter*

Quellen: * Mit Stern: Autobild Heft 3/2012. Ohne Stern: IFFG-eigene Messungen (2020).

Daraus folgt:

Bei nur 1 Meter Abstand wäre ein Dooring-Unfall mit den meisten heute gängigen Fahrertüren bereits unvermeidlich. Empfehlungen von nur 1 Meter Abstand sind daher faktisch nicht mehr ausreichend, sondern veraltet.

Zwar ist die tatsächliche volle Türöffnungsbreite meist ca. 10-15% geringer als die Türbreite. Bei einem gewöhnlichen aktuellen VW Golf Zweitürer (1,30 m) liegt sie z.B. bei 1,13 m. Bei einem Mindestabstand von 1,20 m würde somit nur noch ein hauchdünner Puffer-Abstand von 7 cm verbleiben, also gerade noch die Chance bestehen, als Radfahrer/in haarscharf nur mit dem Schrecken davon kommen. Dasselbe gilt nicht etwa nur für exotische Sportcoupés, sondern bereits für alle gängigen zweitürigen Kleinwagen, vom beliebten Fiat 500 über den Opel Corsa oder Mini bis zum Smart. Damit wird deutlich: 1,2 Meter sind das aktuelle Minimum einer wirksamen Dooring-Unfall-Prävention für den Radverkehr!

6. ADFC Verkehrsrechts-Expertise: Mehr als ein Meter!

Auch der ADFC Bundesverband fordert aktuell eindeutig, man solle „stets mit mehr als einem Meter Abstand an parkenden Autos vorbeifahren.“ Das bedeutet, dass nach aktueller Einschätzung des ADFC nur 1 Meter Abstand nicht mehr ausreichend ist. Quelle: ADFC.

Bereits 2011 hat der ADFC Fachausschuss Radverkehr auf Grundlage der Verkehrsrechtsnormen und Rechtsprechungen eines der bisher besten und ausführlichsten Fachdokumente zum Seitenabstand für Radfahrer erarbeitet und kommt darin zu dieser Empfehlung :  „Abstand nach rechts mindestens 80 cm, bei parkenden Fahrzeugen 1,5 m.

7. VCD Verkehrsrechts-Expertise: 1,2 Meter Abstand!

2019 prämierte der VCD eine Aufklärungskampagne der Verkehrswende Bonn zum Gewinner des VCD-Förderpreises 2019 und präzisierte hierzu in seiner Mitgliederzeitschrift Fairkehr, dass Radfahrer auch zu parkenden Fahrzeugen 1,20 Meter Abstand brauchen“.

8. ADAC (Automobilclub) Verkehrsrechts-Expertise

Der ADAC hat technische Ausstiegswarnsysteme für Automobile überprüft und kommt derzeit noch zu einem vernichtenden Ergebnis. Übereinstimmend mit dem Urteil des Landgericht Berlin (siehe 1.) fordert der ADAC daher: „Radfahrer sollten stets einen ausreichenden Seitenabstand zu parkenden Fahrzeugen einhalten.“

Daraus folgt, wie unter 1. ausgeführt: Der Dooring-Abstand des Radfahrers muss nicht nur bei den schmalsten Türen, sondern stets ausreichen, also auch bei allen gängigen Zweitürern wie dem Smart, Fiat 500, Mini, VW Golf, die von hinten oft nicht einmal als Zweitürer erkennbar sind.

9. Relevanz: Häufigkeit und Schwere der Dooring-Unfallfolgen

Dooring-Unfälle gehören zu den gefährlichsten Radverkehrsunfällen überhaupt, mit oft schwersten Verletzungen (Brustkorb, Beine, Kopf, Gehirn) bis tödlichen Folgen.

Laut Unfallforschung der Versicherer (UDV) ist jeder 14. Radunfall in Deutschland ein Dooring-Unfall.

Studien der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) berichten noch wesentlich höhere Dooringunfallzahlen (u.a. Berichte V9, V257).

Laut einer Forsa-Umfrage von 2019 sind 45% der Radfahrenden schon einmal beinahe mit einer Fahrzeugtür kollidiert.

Damit trägt die Dooring-Unfall-Gefahr erheblich zur gefühlten Unsicherheit des Radfahrens bei und schreckt viele vom Radfahren ab.

Positiv gewendet heißt dies, dass eine wirksame Dooring-Unfall-Prävention die Sicherheit und Attraktivität des Radfahrens erheblich steigern kann, also ein wirksames Mittel zur Radverkehrsförderung darstellt, das geeignet ist, auch ängstliche Radfahrer wieder von den Gehwegen auf die Straße zurück zu bringen und somit auch die Sicherheit des Fußverkehrs zu erhöhen.

10. Praxisbewährt: In Griesheim bereits erfolgreich!

Der Dooring-Sicherheitsabstand von 1,2 Meter ist über unsere ersten vier IFFG Abstand-Banner, mit dem seit Jahren bewährten Motiv der Radlobby Österreich, bereits seit Februar 2020 in Griesheim erfolgreich eingeführt, ganz ohne Protestwelle von Griesheimer BürgerInnen, sondern im Gegenteil mit wachsendem Verständnis für das Anliegen der Verkehrssicherheit.

Die Sicherheit des Radverkehrs auf der B26 Ortsdurchfahrt durch Griesheim ist seitdem spürbar gestiegen!