Im Rahmen der Ortsbefahrung zur Radwegenetzanalyse Griesheim am Samstag, den 20. Juni 2020, nahmen Heike Erb-Schyguda und Martin Wiediger als Vertretung der IFFG teil. Auf zwei Routen, die das westliche und östliche Stadtgebiet abdeckten, wurden kritische Verkehrspunkte angefahren und diskutiert. Wir berichten hier von den acht Stationen der Route durch den Griesheimer Westen:
1) Bereits der erste angefahrene Punkt, die Kreuzung Wilhelm-Leuschner-Straße und Schöneweibergasse, bot eine Vielzahl von Erschwernissen für einen sicheren Radverkehr auf. Angefangen von der zu knapp bemessenen Aufstellfläche an der Fußgänger-Ampel (Kinder!) zwischen Straßenbahngleisen und Fahrbahn der B26, über die Hochrisiko-Nutzung des Schein-Radstreifens auf der Südseite, bis hin zu einem unzureichenden Angebot für Radfahrende auf der Nordseite kam gleich zu Beginn eine lebhafte Diskussion auf: Die korrekte Fahrbahnnutzung durch Radfahrende führt leider oft zu aggressivem Verhalten von Autofahrenden. Fahrradpiktogramme auf der Fahrbahn, mit Abstand zu parkenden Autos, könnten deutlich machen, dass regulär auf der Fahrbahn gefahren werden kann. In der Fußgängerzone (nur Nordseite) sind wiederum Konflikte mit Fußgängern möglich, da dort nur Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist. Einigkeit herrschte darüber, dass der allmählich verblassende Schein-Radstreifen (Südseite), dessen unzulässige Fahrrad-Piktogramme schon vor längerer Zeit abgefräst wurden, gänzlich entfernt werden muss.
2) Über die Schöneweibergasse, eine gerne genutzte Achse zwischen Innenstadt und Gewerbegebiet, ging es weiter zum Nordring. Unterwegs konnte man das eine oder andere gewagte Überholmanöver durch PKW erleben, was der Befahrung eine gewisse Alltagsnähe verlieh. An der Kreuzung zum Nordring wurde der Zweirichtungs-Rad- und -Fußweg in Augenschein genommen, der unter heute gültigen Maßgaben nicht rechtskonform (viel zu schmal) ist. Zudem ist die Beschaffenheit mit zahlreichen Unebenheiten, seitlicher Einengung durch wuchernde Hecken und unübersichtliche Ein- und Ausfahrten alles andere als einladend.
3) In westlicher Richtung endet der Rad- und Fußweg des Nordrings mit dem Ende der Bebauung abrupt. Man ist als Radfahrer*in gezwungen, die vielbefahrene Straße weiter zu nutzen. Mit mehr als zehn Radfahrer*innen, einschließlich eines uniformierten Stadtpolizisten, war dies mit einigermaßen sicherem Gefühl möglich. Einige Autofahrer hielt es dennoch nicht davon ab, den seit dem 28.4.2020 gesetzlich vorgeschriebenen Mindestüberholabstand von 1,5m innerorts und 2m außerorts teils erheblich zu unterschreiten. Besonders überraschend: Dies wurde von den mitfahrenden Vertretern von Polizei und Ordnungsamt nicht einmal andeutungsweise beanstandet.
4) Auf landwirtschaftlich genutzten Wegen führte die Route anschließend weiter zur Grillhütte West und von dort zurück zur Unterführung unter der L3303 Richtung Mühlenweg, die Teil einer Radwege-Verbindung von Wolfskehlen nach Griesheim Nord und umgekehrt ist. Hier wurden die Problematik des Begegnungsverkehrs zwischen Radlern und Fußgängern sowie die schlechte Beleuchtung und Einsehbarkeit erörtert, und die Möglichkeiten, diese Gefahren zu entschärfen.
5) Beim nächsten Stopp an der neu gestalteten Kreuzgasse wurde beispielhaft die nun vom Jean-Bernard-Platz (Am Kreuz) bis zur Pfützenstraße verlängerte „Verkehrsberuhigte Zone“ (umgangssprachlich: Spielstraße) als eine für Fahrradfahrende sichere Wegführung präsentiert. Wobei das dort geforderte Schritttempo von 6 km/h für Radfahrende (z.B. Berufspendler oder Schüler der GHS) nicht unbedingt reizvoll ist. Dass nur ein Bruchteil der Verkehrsteilnehmer überhaupt die dort gültigen Verkehrsregeln kennt und befolgt, steht auf einem anderen Blatt.
6) Die B26 wurde sodann von der Pfützenstraße in die Oberndorfer Straße überquert, um weiter Richtung Süden zu fahren. Unterwegs nahm die Gruppe zunächst die Baustelle zur Umgestaltung der Kreuzung Oberndorfer Straße in Höhe Flecksweg und Magdalenenstraße (KiTa!) in Augenschein. Die nach Süden versetzte Fußgängerampel sowie die Einengung der Fahrbahn soll dort zukünftig eine sichere Querung für KiTa- und Schulkinder ermöglichen. Die ab derselben Kreuzung Richtung Süden beidseits recht breiten Gehwege laden prinzipiell zum Radfahren ein. Die IFFG wies darauf hin, dass eine Radweg-Beschilderung beidseitig immer noch fehlt, jedoch für klare Verhältnisse sorgen würde.
7) Am Kreisel (Kreuzung Oberndorfer Straße mit Westring und Südring) wurde die vom Südring aus unsichere Querung für Fuß- und Radverkehr zu den Einkaufsmöglichkeiten in der Oberndorfer Straße bemängelt. Von Pfungstadt oder Riedstadt kommend fehlt eine weitere Querung an der südlichen Ein- und Ausfahrt des Kreisels Richtung Südring. Im Südring selbst ist der nördliche Fußweg zwar für den Radverkehr freigegeben, aber für zügiges Fahren ungeeignet (nur Schritttempo), aufgrund der zahlreichen Fußwegeinmündungen aber auch für langsame Radfahrer und Kinder mit Risiken verbunden. Das gleichberechtigte Radfahren auf der Fahrbahn wird hingegen von einigen KFZ-Verkehrsteilnehmern nicht toleriert.
8) Die letzte Station führte vom Südring zur Odenwaldstraße. Bei einem von der IFFG erbetenen Stopp an der Schillerschule offenbarte sich im Gespräch mit den Amtsträgern bei Ordnungsamt und Stadtpolizei ein Grundproblem der bislang mangelnden Radverkehrsförderung: Zum einen wird der Radverkehr nicht als gleichwertige Mobilitätsform angesehen. Zum anderen werden ausschließlich Unfallstatistiken zur Bewertung der Sicherheitslage für Radfahrer hinzugezogen. Der Faktor „subjektives Sicherheitsempfinden“, der entscheidend ist bei der Frage, ob das Fahrrad dem Auto vorgezogen und somit der Radverkehr auch tatsächlich gefördert wird, wird ganz außer Acht gelassen. Denn die alltäglichen Gefährdungen durch Missachtung der Rechte von Radfahrer*innen gehen in keine Statistik ein, sind für den oder die Einzelne*n aber ein Entscheidungskriterium, bestimmte Wege mit dem Fahrrad zu bewältigen oder eben nicht. In der Frage, wie Kinder ihren Platz im Straßenverkehr finden sollen, zeigte sich auch seitens der Vertreterin des Planungsbüros noch ein radverkehrerzieherischer Hemmschuh. Sie plädierte dafür, dass Kinder nicht vor dem zehnten Lebensjahr, also erst nach der schulischen Verkehrserziehung, mit dem Rad zur Schule fahren sollten. Aus Sicht der Eltern in der IFFG ginge dies nicht nur an den Mobilitäts-Bedürfnissen und –Realitäten der Kinder vorbei, es widerspricht auch dem Grundsatz einer Radverkehrsförderung von Anfang an. Den Kindern würde hierdurch sehr viel Entwicklungspotential beschnitten und im doppelten Wortsinn eigene „Erfahrung“ und Radverkehrskompetenz unmöglich gemacht. Kinder, die viele Strecken passiv im Auto transportiert werden, haben deutliche Nachteile gegenüber Kindern, die ihr Lebensumfeld selbstständig erkunden, Wegstrecken einschätzen lernen und den Orientierungs- und Gleichgewichtssinn trainieren.
Bei der abschließenden Zusammenkunft beider Gruppen am Rathaus kristallisierte sich als Hauptanliegen heraus, die Wilhelm-Leuschner-Straße fahrradfreundlicher zu gestalten, damit die Innenstadt auf sicherem und attraktivem Weg erreicht werden kann. Hierbei wurde angeregt, auch die Möglichkeiten der Entfernung bestehender Parkflächen oder eines Mischverkehrs von Auto und Straßenbahn in die Überlegungen mit einzubeziehen, um Raum zu gewinnen.
Fazit:
Bei den ausgewählten Zwischenstopps kamen bereits bekannte Mängel und Lücken der Infrastruktur zur Sprache: Es fehlt an Durchgängigkeit der Wegeführung. Vorhandene Zweirichtungs-Fuß-und-Radwege (z.B. am Nordring) sind nicht rechtskonform (zu schmal), dadurch unsicher und noch dazu in schlechtem Zustand. Es gibt Sicherheitsmängel, z.B. wegen fehlender Beleuchtung in Unterführungen (Richtung Grillhütte West). So weit, so bekannt und erwartet.
Was uns allerdings in dieser Deutlichkeit überrascht hat, ist, dass es seitens Politik und Verwaltung zwar eine Bereitschaft gibt, sich mit dem Thema „Radverkehr“ zu beschäftigen, aber eine echte Radverkehrsförderung, mit der Schaffung von echten Vorteilen des nicht-motorisierten Verkehrs gegenüber dem motorisierten Individualverkehr, nicht erkennbar ist. So wurde etwa auf den Vorschlag hin, die unmittelbare Schulumgebung kurzzeitig vor Schulbeginn für den motorisierten Verkehr zu sperren (z.B. durch versenkbare Poller) von Vertretern des Griesheimer Ordnungsamtes sofort eingewendet, dass „der Straßenverkehr nicht behindert werden darf“. Der Straßenverkehr zu einer kommunalen Schule besteht also in der Vorstellung der Amtsträger nicht etwa aus zu Fuß gehenden Kindern, jüngeren Rad fahrenden Kindern in Begleitung ihrer Eltern und selbstständig Fahrrad fahrenden älteren Schüler*innen, gleichberechtigt mit dem Autoverkehr? Mehr noch: Soll dieser nichtmotorisierte Schulwegs-Verkehr der Kinder durch die einseitige Bevorteilung des Autoverkehrs weiter gefährdet und behindert werden? So rückt eine Verkehrswende und Radverkehrsförderung natürlich immer weiter weg, anstatt vorangetrieben zu werden.
Trotzdem sieht die IFFG solche Begegnungen als echte Chance, dass sich bestehende Perspektiven immerhin zukünftig in Richtung einer ernst gemeinten Radverkehrsförderung verändern und somit den Umstieg auf das Rad (ob nun gewollt oder ungewollt) nicht mehr faktisch blockieren, sondern tatsächlich attraktiver machen. Daher begrüßt die IFFG ausdrücklich die laufende Radverkehrsstudie und Bürgerbeteiligung von Stadt Griesheim und dem Planungsbüro Mobilitätslösung. Die Teilnahme war sehr aufschlussreich und hat sich auf jeden Fall gelohnt.
(Aktualisiert am 25.08.2020)
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